Hintergrund

Epidemiologische Daten aus Hausarztpraxen sind in Deutschland kaum verfügbar. Untersuchungen über Morbiditätsentwicklungen, kontinuierliche Beschreibungen der Inanspruchnahme der hausärztlichen Versorgung, über Beratungsanlässe, Zusammenhänge zwischen Beratungsanlässen und Beratungsergebnissen oder Diagnosen sowie veranlasste Leistungen (Medikamenten-, Heilmittelverordnungen, Krankenhauseinweisungen, Laboruntersuchungen etc.) liegen nicht vor.

Dieses Defizit soll durch den Aufbau des Forschungsnetzes behoben werden. Erfahrungen in den Niederlanden und in Großbritannien zeigen, dass dadurch ein wichtiger Beitrag zur strukturellen Entwicklung der Forschung im Fach Allgemeinmedizin geleistet werden kann. Die derzeit in deutschen Allgemeinarztpraxen verpflichtend zu Abrechnungszwecken verwendete Klassifikation von Erkrankungen ist die International Classification of Diseases in ihrer 10. Version (ICD-10). Sie kann als Referenzbasis der Diagnosenerfassung insbesondere für internationale Morbiditäts- und Mortalitätsvergleiche durchaus sinnvoll sein. Die ICD-10 eignet sich jedoch nur wenig zur Abbildung von "Diagnosen" im Versorgungsalltag. Dies trifft insbesondere dort zu, wo jene den Charakter von Arbeitshypothesen aufweisen.

In der hausärztlichen Primärversorgung suchen Patienten ihren Hausarzt häufig wegen selbstlimitierenden Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen auf. Sie werden vom Arzt wegen dieser Beschwerden überhaupt nur ein- oder zweimal gesehen, und dieser versucht das Problem durch Beratung und gestufte Diagnostik soweit einzugrenzen, dass gefährliche Verläufe weitgehend ausgeschlossen werden können. In dieser Phase des "abwartenden Offenhaltens" könnte weitere Diagnostik für den Patienten eher schädlich sein, bliebe meist ohne therapeutische Konsequenzen und würde einer unsinnigen und nebenbei unwirtschaftlichen Überversorgung hinsichtlich technischer Diagnostik und Medikalisierung Vorschub leisten.

Im Gegensatz zur ICD-10 ist die International Classification of Primary Care (ICPC) ein Klassifikationssystem, das speziell für die hausärztliche Versorgung entwickelt wurde. Es erlaubt eine dem hausärztlichen Arbeitsansatz angemessene Beschreibung von Krankheitsepisoden (episodes of care) und Behandlungsergebnissen (health outcomes). Dies erlaubt dem Hausarzt im Falle einer neuen Episode oder bei Veränderungen in Bezug auf bestehende Episoden einen besseren Überblick und damit ein besseres Fallverständnis.

Für die Forschung können durch eine systematische Dokumentation neben epidemiologischen und gesundheitsökonomischen Fragestellungen in Quer- und Längsschnittstudien auch die Fragen der Wirksamkeit von Interventionen in der Hausarztpraxis und der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems bearbeitet werden. Schließlich können die erhobenen Daten der allgemeinen Gesundheitsberichterstattung zur Verfügung gestellt werden.